Von Dr. med. Carmen Kirstgen & Dipl. oec. troph. HP Agnes Ptok
Die heilige Hildegard von Bingen – Äbtissin, Dichterin und bedeutende Universalgelehrte – hat neben theologischen Schriften auch medizinische Werke verfasst. Ihre rund 850 Jahre alten Empfehlungen werden heute zum Teil durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt. Die von ihr empfohlenen Mittel gegen Frauenleiden haben heute noch oder wieder ihren Platz in der modernen Frauenheilkunde. Die Naturarzt-Redaktion bat zwei erfahrene Expertinnen in Hildegard-Medizin um Tipps aus der Praxis.
Die Frauenheilkunde der Hl. Hildegard von Bingen (1098 – 1179) ist in ihren Werken „Ursprung und Behandlung der Krankheiten“ (Causae et Curae) und „Physica“ nachzulesen. Sie beschrieb mit ihrer besonderen Sehergabe klar und unverschroben die Funktion der weiblichen Geschlechtsorgane, die Beziehungen zu Hormonsystem und Befinden, zu Gedanken und Gefühlen. Für Beschwerden benannte sie Therapien und hochwirksame natürliche Heilmittel, die auch heute noch erfolgreich anwendbar sind.
Bereits junge Mädchen können von der Hildegard-Medizin profitieren, z. B. bei schmerzhaften Monatsblutungen. Für sie ist es oftmals schwierig zu akzeptieren, dass sie auf dem Weg sind, eine Frau zu werden, und deshalb sind die Menstruationen häufig sehr schmerzhaft. Leider ist oft die Verordnung der Anti-Baby-Pille dann geradezu vorprogrammiert. Wann immer ich aber auch nur den Hauch von Offenheit für Alternativen verspüre, kläre ich über die negativen Wirkungen und Folgen der Pilleneinnahme auf und weise auf Hildegards Mittel hin. Zwei Heilpflanzen haben sich dafür sehr bewährt: Mutterkraut (Tanacetum parthenium) und Weinraute (Ruta graveolens).
Zum Mutterkraut schreibt die Hl. Hildegard in ihrem Werk „Causae et Curae“: „Ein Mensch, der am Stechen leidet, nehme Mutterkraut und zerreibe das kräftig zu Saft und füge etwas Kuhbutter hinzu und reibe sich dort ein, wo er Schmerzen hat, und er wird geheilt werden: die Wärme und die Kraft des Mutter-krauts vertreibt und mildert zusammen mit der Wärme und der Milde der Butter diesen Schmerz.“
Mit dieser Salbe täglich die Haut des Unterbauches einreiben, möglichst schon vor dem Blutungsbeginn des Monatszyklus. Dazu empfiehlt sich die Einnahme einer Tablette Weinraute nach dem Essen. Diese Gewürz- und Zierpflanze ist manchmal in Gärten zu finden. Man könnte auch ein paar Blättchen essen, denn sie wirkt roh verzehrt stärker. Al-lerdings dürfte der intensive Geschmack davon eher abhalten.
Die Weinraute hilft auch älteren Frauen zu Beginn der Wechseljahre, wenn die Blutungen aufgrund hormoneller Verschiebungen stärker und schmerzhafter werden und oftmals auch mit prämenstruellen Wassereinlagerungen sowie Stimmungsschwankungen einhergehen.
Hirschzunge und Aderlass in den Wechseljahren
In den fortgeschrittenen Wechseljahren, wenn die Blutungen endgültig ausbleiben, haben sich zwei weitere Mittel besonders bewährt: Das Hirschzungenelixier aus dem Hirschzungenfarn (Asplenium scolopendrium) und der Aderlass nach Hildegard zur Blutreinigung.
„Hirschzunge ist warm und hilft der Leber und der Lunge und den schmerzenden Eingeweiden“, heißt es in ihrem Buch Physica. Das Elixier zeigt positive Wirkungen auf die vegetativen Beschwerden der Wechseljahre: Hitzewallungen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Es empfiehlt sich 3-mal täglich ein Likörglas nach dem Essen zu trinken.
Wenn ich meinen Patientinnen den Aderlass nahe lege, sehe ich zunächst erstaunte und erschrockene Gesichter. Zu sehr ist dieser mit düsteren Mittelaltergeschichten verbunden. Doch wer ihn einmal probiert hat, möchte ihn nicht mehr missen.
Der Aderlass kann einmal jährlich durchgeführt werden. Am besten eignet sich dafür einer der sechs Tage nach Vollmond, denn bei abnehmendem Mond lassen sich Giftstoffe besonders gut aus dem Körper eliminieren. Hildegard beschreibt, dass durch ihn die Gefäße von Schleim und Fäulnisstoffen, welche durch die Verdauung entstehen, gereinigt werden. Das ist besonders nach Ausbleiben der reinigenden Monatsblutung nützlich. Das Blut muss dabei frei ohne Sog aus der Armvene heraussickern. Wenn das belastete dunkle Blut abgeflossen ist und das reine hellrote Blut folgt, beendet man den Aderlass. Dabei fließen oft nur einige Milliliter Blut ab. So unterscheidet sich dieses Verfahren in Ablauf und Wirkung auch komplett von einer Blutspende, bei der 450 ml Blut abgenommen werden.
Viele Frauen – aber auch Männer – entwickeln in den Wechseljahren einen erhöhten Blutdruck. Die vielfach eingesetzten Betablocker regulieren hier oft über, so dass es bei den Patienten zu starken Blutdruckschwankungen kommt. Hier kann ein Aderlass mit einer nachfolgenden Kur mit Hirschzungenelixier hilfreich sein. Eine gesunde Ernährung nach Hildegard unterstützt die Gesundheit zusätzlich: Die Basis der Ernährung bilden gekochtes oder verarbeitetes Getreide, vor allem Dinkel, und gedünstetes Gemüse. Fleisch dient nur als Beilage, wobei Hildegard nur Ziege und Schaf für jedermann empfiehlt, bei allen anderen Tierarten kommt es auf die Verfassung des Einzelnen an.
In der Schwangerschaft bietet Hildegard gute Alternativen
Die Hildegardmedizin ist besonders für schwangere Frauen sehr nützlich. Mein eindrücklichstes Erlebnis hatte ich bei einer Schwangeren mit schwerer Mittelohrentzündung und erheblichem Hörverlust beidseits. Sie sollte eine Woche stationär aufgenommen und mit Kortison- und Antibiotikainfusionen behandelt werden. Die Hildegard-Medizin empfiehlt „ölige Rebtropfen“, die mehrmals täglich in die Haut um die Ohren herum eingerieben werden. Die Wirkung dieses Mittels war durchschlagend. Die Mittelohrentzündung verschwand und beim Hörtest fanden sich zum Erstaunen der Klinikärzte normale Werte.
Viele Hildegardmittel sind selbst herstellbar, doch nur wenige Patienten sind dazu bereit. Eine Schwangere mit starkem Schwangerschaftserbrechen hatte schon einiges versucht: Hausmittel, homöopathische Mittel, Akupunktur. Nichts half ihr wirklich. Deshalb gab ich ihr das Backrezept für Bibernellmischkekse.
Bei Hildegard steht geschrieben: „Wer an Übelkeit leidet, nehme Kümmel, ein Drittel davon Pfeffer und etwa ein Viertel vom Kümmel der Bibernelle, pulverisiere das, nehme reines Semmelmehl und gebe dieses Pulver in das Mehl. Er mache mit Eidotter und ein bisschen Wasser Küchlein, … im heißen Ofen … und esse diese Küchlein, aber er kann das erwähnte Pulver auch auf Brot gestreut essen. Denn wenn die Kälte des Kümmels und die Kälte der Bibernelle und die Kälte des Eidotters sich mit der Wärme des Pfeffers und der Wärme des Semmelmehls vermischen, sich durch die Sanftheit des Wassers ver-binden und durch die milde Hitze des Ofens, wie oben gesagt, gegart werden, unterdrücken sie die krankhaft heißen und krankhaft kalten Säfte, die dem Menschen die Übelkeit bringen.“
Tatsächlich probierte die Patientin dieses Rezept aus, worauf sich ihre Beschwerden deutlich besserten bzw. verschwanden.
Dies ist ein kleiner Ausschnitt von Hildegard Heilmitteln. Bewährt hat sich auch eine ambulante Fastenkur nach Hildegard (siehe Naturarzt 3/2014: „Hildegard-Fasten: Heilfasten ohne Krisen“), die man zum Beispiel gut mit F.X.-Mayr-Kuren kombinieren kann.
Neben der schon erwähnten Mutterkrautsalbe beschreibt Hildegard die Mutter-krautsuppe zur sanften Ausleitung des Monatsbluts: „Mutterkraut [soll man] mit Wasser und Fett oder Öl kochen, Semmelmehl hinzufügen und so eine Suppe bereiten“.
Diese hat sich bei vielen Beschwerden als hilfreich erwiesen: Sowohl Jugendliche und junge Frauen mit seltenen oder schmerzhaften Blutungen spüren oft sehr schnell die lindernde Wirkung, wie auch diejenigen, die schon länger oder lange einen stabilen Zyklus haben. Viele der dabei möglichen Begleitbeschwerden wie Traurigkeit, Reizbarkeit, Wechsel der Gefühle, aber auch Rücken- und Kopfschmerzen, sogar Migräne, und ausbleibende oder zu lange oder intensive Menses werden durch die Mutterkrautsuppe gut beeinflusst. Wechseljahresbeschwerden wie Schweißausbrüche, Schlafstörungen und Hitzewellen können ebenfalls mit ihr behandelt werden. Bei Hitzewellen hilft meist auch Galgantwurzelpulver der Firma Jura.
In so mancher Sekundärliteratur wird Kamille statt Mutterkraut genannt. Das ist jedoch eine Verwechselung, weil letzteres in neueren Heilpflanzenbüchern aus Unkenntnis der Heilwirkung nicht mehr Erwähnung findet. Mutterkraut taucht als „Blume“ seit einigen Jahren wieder im Blumenschmuck und in den Gärten auf. Sowohl die frisch gepflückten Blätter als auch die fertige Tinktur eignen sich zur Herstellung der Suppe.
Ein häufiges Frauenproblem sind wiederkehrende Blasenentzündungen. Antibiotika beseitigen Bakterien oft nur kurzfristig. Als pflanzliche Variante beschreibt Hildegard die Meisterwurz (Rhiz imperatoriae), eine wirkliche „Meisterin“, die in der Alpenregion wächst. Jeweils zur Nacht wird sie über drei oder fünf Tage eingenommen. Dazu bedeckt man einen Teelöffel klein geschnittener Wurzelstückchen in einem Glas mit BioWein und fügt am Morgen die gleiche Menge Wein hinzu. Davon nimmt man täglich 3- bis 4-mal über den Tag verteilt je einen Teelöffel ein. Im akuten Zustand kann man auch alle ein bis zwei Stunden ½ Teelöffel einnehmen. Meist erfolgt eine schnelle und dauerhafte Ausheilung.
Eierstockzysten verschwinden mit Veilchensalbe
Eierstockzysten (Ovarialzysten) bilden sich erstaunlicherweise mit dünn aufgetragener Veilchensalbe – Einreibung der Hautareale über dem Eierstock – zurück. Ergänzend oder allein wirkt auch die Kraft des Edelsteins Amethyst. Dieser wird nach Hildegards Anweisung mit dem eigenen Speichel benetzt und über die entsprechenden Hautregionen gestrichen, danach 20 Minuten bis 3 Stunden mit einem Pflaster fixiert. Bei großen Zysten bietet sich eine Wasserlinsen-Kur an.
Mit dieser Behandlung konnten schon viele Operationen vermieden werden. Bei Tumortherapien empfiehlt sich begleitend das Wasserlinsenelixier, bei Operationen oder Bestrahlung warmer Schafgarbentee und für Narben die Veilchensalbe.
Die während der Schwangerschaft oft eingenommene Hainbuchensaft-Suppe aus Hainbuchentinktur oder Hainbuchenästchen und frischen -blättern sowie Milch, Mehl und Eiern bei Neigung zu Fehlgeburten hat so manchen Säugling ausgereift zur Welt kommen lassen.
Mütter mit nächtlichem Harndrang und daraus resultierenden Schlafstörungen berichten immer wieder über durchschlagende Erfolge mit Bernsteinmilch: Dazu legt man einen Bernstein 24 Stunden in Milch ein, die man dann ohne den Stein kurz aufkocht und trinkt. Fünf Tage lang soll dies wiederholt werden.
Fleisch als Lebensmittel befürwortet Hildegard nur in Maßen, sie setzt es aber auch als Heilmittel ein – ähnlich wie die traditionelle chinesische Medizin. Bei Osteoporose würde sie eine Kalbsfußbrühe empfehlen: Für einige Stunden im Kochtopf mit Bertram, Galgant und etwas Gemüse ohne Porree köcheln lassen, dann abkühlen und in Eiswürfel-Kunststofftüten eingefroren und jeden 2. Tag als kleine Portion unter das Essen gerührt werden. Eine viertel Stunde Sonne auf Brustbein und Arme möglichst gegen Mittag und tägliche Bewegung sind eine gute Ergänzung.
Neben dem Einsatz der Heilmittel und Heilverfahren ist der Äbtissin die Gesamtschau des Menschen in seiner Beziehung zum Nächsten, zur Natur, zum Kosmos und zum Schöpfer wesentlich für ein ausgeglichenes Leben, weil Leib und Seele miteinander verflochten sind. Die Ordnung des Lebens mit der sinnvollen Berücksichtigung der Rhythmen beschreibt sie genauso wie die Notwendigkeit der Freude und des rechten individuellen Maßes – eine wahrhaft umfassende und ganzheitliche Heilweise. Wer sich auf Hildegards vielseitige Rezepte und Lebensratschläge einlässt, erlebt Erstaunliches für Gesunderhaltung und Genesung der Einheit Körper-Seele-Geist.